Dass der Leichtwind ihre Achillesferse ist, war Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer schon lange bekannt. „Bei solchem Wind fahren wir nicht um den Titel mit, das wissen wir“, sagte Kohlhoff – im November 2023 nach der EM in Portugal. Der gesamte olympische Zyklus bescherte der Kieler Segelcrew immer wieder nur eine leichte Brise bei großen und wichtigen Veranstaltungen. Anders als erwartet tat Marseille das in den Tagen der Olympiaregatta auch. Es war der Todesstoß für die Medaillenhoffnungen der Nacra-Crew, die bei den Spielen von Tokio 2021 die Bronzemedaille gewonnen hatte.
Nach den zwölf Flottenrennen stand Gesamtrang acht, das ursprünglich für Mittwoch angesetzte Medal Race musste nach langer Hängepartie im mauen Wind abgesagt werden und soll nun am Donnerstag steigen. Kohlhoff/Stuhlemmer können sich dort bestenfalls auf Rang sechs vorschieben. „Die Platzierung ist für mich keine Überraschung. Deswegen kann ich damit leben“, sagte Steuermann Kohlhoff. „Wir haben uns als Medaillenkandidat im mittleren Windbereich gesehen, aber den haben wir überhaupt nicht erlebt. Wir wurden hier nur bei sehr wenig oder auch mal sehr viel Wind abgefragt, und da sind wir zwar konkurrenzfähig, aber nicht medaillenfähig.“
Vor allem der Leichtwind macht der Kieler Crew zu schaffen. Der 29-jährige Kohlhoff ist der größte Steuermann im Nacra-Feld, mit der sehr athletischen Stuhlemmer an der Vorschot zählt das Team zu den schwersten unter den 19 olympischen Nacraduos. Auf dem Weg zu den Spielen hatten sie vieles unternommen, um die bekannte Leistungslücke nach unten zu schließen, immer wieder versucht, die Leichtwindperformance zu verbessern, ohne die Stärken im Bereich ab zehn Knoten zu sehr zu beschneiden. Die Regatta offenbarte: Es war nicht genug.
Die Kieler Crew ging dabei mit der eigenen Herangehensweise auf dem Weg nach Marseille hart ins Gericht. „Im Nachhinein finde ich, dass wir uns schlecht auf dieses Revier vorbereitet haben“, erklärte Kohlhoff. „Wir hatten ehrlicherweise nie so wenig Wind wie jetzt, als wir hier waren.“ Und selbst wenn, wäre man im Training wohl an Land geblieben. „An so einem Tag wie heute wären wir vermutlich erst rausgefahren, wenn mal ein paar Minuten sieben, acht Knoten sind. Für dieses Revier – das haben wir jetzt hier in dieser Woche real erlebt – hätten wir noch mehr die Extreme trainieren müssen.“
Nun gehe es um einen versöhnlichen Abschluss. „Es ist total frustrierend, dass wir unseren eigenen Erwartungen nicht entsprechen konnten, und darüber ärgern wir uns auch total, aber wir sind auch stolz auf unsere Teilnahme am Medal Race, und da freuen wir uns auch riesig drauf“, so Kohlhoff. „Das ist ein Riesen-Privileg, und man hat auch heute wieder gemerkt, wie geil und wie inspirierend die Atmosphäre ist.“
Neuer Anlauf in Richtung Los Angeles 2028?
Für die Olympia-Dritten von Tokio geht es zudem um den Erhalt ihres Kaderstatus. Und damit auch um die Zukunft. Gibt es für Los Angeles 2028 einen neuen Anlauf? „In Richtung LA halten wir uns noch zurück mit Aussagen, es sind noch keine Entscheidungen getroffen“, sagte Kohlhoff. „Wir wollen das jetzt hier erstmal vernünftig zu Ende bringen, uns dann eine Auszeit nehmen und ganz in Ruhe überlegen, wie es weitergeht.“ Neben der Lust auf den olympischen Segelsport spielt dabei auch die Familie eine Rolle, schließlich ist Kohlhoff seit Mai 2022 Vater. „Es gibt eine Menge, das da mit reinspielt. Wir hoffen, dass wir morgen performen, unseren Kaderstatus bestätigen und im nächsten Jahr mit Rückenwind und Ruhe gute Entscheidungen über unsere sportliche Zukunft treffen können.“
Im Finale der besten zehn Nacras geht es derweil für andere um das Edelmetall. Erwartungsgemäß liegen die „außerirdischen“ Italiener Ruggero Tita und Caterina Banti, die Olympiasieger von Tokio und Weltmeister der vergangenen drei Jahre, auf Goldkurs, haben 14 Punkte Vorsprung auf die Argentinier Mateo Majdalani und Eugenia Bosco, die wohl mit den Briten John Gimson und Anna Burnet sowie den Kiwis Micah Wilkinson und Erica Dawson (jeweils 47) um Silber und Bronze kämpfen werden.