Die Bedenkzeit nach den Olympischen Spielen von Paris ist beendet, der Entschluss steht fest: Nach acht Jahren ist Schluss für das Kieler Nacra-Duo Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer. Während Steuermann Kohlhoff seine sportliche Zukunft vorerst offen ließ, will Stuhlemmer in einer anderen olympischen Disziplin durchstarten: Aus der 25-jährigen Katamaran-Vorschoterin wird eine iQ-Windsurferin.
„Wir sind uns gegenseitig unheimlich dankbar für die gemeinsame Zeit und werden im Herzen immer ein Team bleiben“, sagte Kohlhoff. „Mit ein bisschen Abstand blicken wir auf acht aufregende, sehr intensive und herausfordernde Jahre zurück, in denen wir beide als Menschen und als Sportler enorm wachsen durften.“ Das Duo hatte nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio zusammengefunden, bei denen Kohlhoff mit Carolina Werner an den Start gegangen war.
Es folgten acht gemeinsame Jahre mit der Krönung in Japan vor drei Jahren. „Paul und ich haben es mit der Bronzemedaille in Tokio gemeinsam geschafft, uns einen Lebenstraum zu erfüllen. Das wird uns für immer verbinden“, sagte Stuhlemmer. „Außerdem haben wir ein großartiges Team an unserer Seite, und ich bin für jedes Erlebnis und jede Begegnung mit den Menschen, mit denen ich diese Reise teilen durfte, unglaublich dankbar.“
Das letzte Kapitel dieser Reise waren die jüngsten Olympischen Spiele von Paris, wo die Crew auf Rang acht segelte. „Eine dreimalige Olympiaqualifikation ist eine herausragende sportliche Leistung, die nur wenige erreichen“, zollte Nadine Stegenwalner, Sportdirektorin des Deutschen Segler-Verbandes (DSV), der Katamaran-Karriere Respekt. Und DSV-Vizepräsident Dirk Ramhorst, auch KYC-Vereinskamerad und Regattachef der Kieler Woche, erklärte: „Für uns als Verband war es neben der engen Begleitung und Betreuung spannend, sie auf ihrer gemeinsamen Reise, die auch ein Reifeprozess von jungen, aufstrebenden Sportlern zu gereiften Persönlichkeiten war, zu begleiten.“
Ein Reifeprozess, der auch Ruckschläge bereithielt. Sportlicher Natur, aber vor allem auch gesundheitlicher: Im Winter 2017 musste Kohlhoff auf Mallorca notoperiert werden, ein spanischer Neurochirurg rettete dem damals 22-Jährigen nach einer Hirnblutung das Leben. „Ganz los wirst du so etwas nicht“, sagte er mal. Und bezeichnete seine Erkrankung als „Neustart für mein Segeln, wahrscheinlich sogar für mein Leben“.
Ein überaus erfolgreicher Neustart. Als Crew meisterten sie das Upgrade des Nacra-Katamarans zum fliegenden Segelgeschoss, erklommen in Tokio das Olympia-Podest. In der Mitte der folgenden Olympiade wurde der Steuermann Vater, brachte fortan Leistungssport und Familie unter einen Hut. Letzteres ist ein Hauptgrund für die Trennung. „Unsere Wege haben sich außerhalb des Sports in unterschiedliche Richtungen entwickelt“, erklärte Stuhlemmer. „In einer Disziplin, in der man mehr als 250 Tage im Jahr zusammen ist – und davon den Großteil im Ausland – wurde es für uns als Team zunehmend schwierig, die notwendige Basis zu finden, um erfolgreich auf Los Angeles 2028 hinzuarbeiten.“ Das sieht auch Kohlhoff so: „Die sich immer weiter auseinander bewegenden Lebenssituationen haben zu großen Herausforderungen geführt und uns nicht mehr so effizient zusammenarbeiten lassen.“
Daher ist es laut dem 29-Jährigen „nach so vielen Jahren der engen Zusammenarbeit an der Zeit, dass wir beide einen Neustart hinlegen.“ Aufbruch zu neuen Ufern: bei Kohlhoff vorerst in unbekannten Gewässern. Stuhlemmer dagegen hat das nächste Ziel bereits vor Augen – und unter den Füßen: Sie ist vom Boot aufs Board umgestiegen. „Mein olympischer Traum ist noch lange nicht zu Ende geträumt. Ich brenne weiterhin für den Segelsport“, sagte sie. „Mit dem iQ-Foil habe ich mir eine Einzeldisziplin ausgesucht, die mich sportlich, mental und seglerisch komplett neu herausfordern wird.“
Bis zum vergangenen Sommer hatte sie das Windsurfen, das vor Marseille Olympia-Premiere feierte, nur einmal zum Spaß ausprobiert. In den vergangenen Monaten intensivierte sie das Training im Kieler Heimatrevier und fällte schließlich den Entschluss zum Umstieg. Der durch eine Regeländerung begünstigt wird: Ab 2025 ist die Segelgröße für Frauen von 8 auf 7,3 Quadratmeter verkleinert, was kleineren und leichteren Athletinnen in die Karten spielt.
Dennoch: Der Weg in die Spitze wird hart. „Die Anforderungen an meinen Körper und die mentale Umstellung, nun allein auf dem Wasser Entscheidungen zu treffen, sind völlig neu für mich“, erklärte die 25-Jährige. Und macht sich keine Illusionen: „Ich stehe noch am Anfang. Ich weiß, dass der Weg lang ist, nicht immer gerade verläuft und ich auch Nehmerqualitäten beweisen muss. Natürlich wird die Mission ‚LA 28‘ keine leichte sein, doch das macht gleichzeitig auch den Reiz für mich aus.“
Anfang November startet sie in ihr erstes Trainingslager in Cádiz, die erste Wettkampf-Standortbestimmung wird die Trofeo Princesa Sofía auf Mallorca Anfang Juni 2025 sein. Bis dahin bleibt allerdings noch die Unsicherheit über den Kaderstatus für 2025, der im Normalfall über Ergebnisse des Vorjahres bestimmt wird. Über einen möglichen Verbleib Stuhlemmers in der Nationalmannschaft will der DSV bis Jahresende entscheiden. (nsg)