Es gibt eine Straße in Berlin, in der hört alles auf die Ruderinnen. Wenn Frieda Hämmerling, das Boot auf der Schulter, den auf dem Gelände des Ruder-Olympiastützpunkts im Jungfernheideweg installierten Ampelknopf drückt, dauert es meist nur Sekunden, und sie bekommt grünes Licht. Bahn frei für den Weg zum Kanal, auf dem die deutsche Ruder-Elite um die Kielerin trainiert. Grünes Licht gab es in diesem Jahr für nicht viele Regatten. Nur die Europameisterschaft in Posen findet statt. Sie ist das Jahres-Highlight für Athletinnen, die ihre Leben auf die für den Sommer 2020 geplanten Olympischen Spiele in Tokio ausgerichtet hatten und nun bis zum Nachhol-Termin im nächsten Jahr in der Warteschleife hängen. Mittendrin ist die von der Stiftung Kieler Sporthilfe geförderte Hämmerling, die für die Spiele so gut wie gesetzt war. Ortsbesuch während der EM-Vorbereitung in der Bundeshauptstadt.
Von Hadern, Zweifeln, Missmut keine Spur. Im Sportkomplex Hohenzollerndamm, dem der Charme einer modernisierten Jugendherberge aus den 1970er-Jahren anhaftet, geht alles seinen gewohnten Gang: 6.45 Uhr, Frieda Hämmerling ist eine der Ersten auf der Anlage. Ihr erster Weg führt auf die Waage. In den Tagen vor dem einzigen Wettkampf des Jahres will Bundestrainer Marcin Witkowski nichts dem Zufall überlassen. Am Trainingszustand der 23-Jährigen kann er nichts auszusetzen haben. „Seit ich hier trainiere, geht es mir körperlich sehr viel besser“, sagt sie. „Und dadurch habe ich auch wieder richtig Spaß daran.“ Das war nicht immer so. 2015 dachte die Kielerin ans Aufhören. Als die Lehramtsstudentin (Geschichte und Deutsch) dann den Sprung in den deutschen Doppelvierer schaffte, lebte und trainierte sie in Hamburg, pendelte zu den gemeinsamen Einheiten nach Berlin. Im Zuge der Zentralisierung entschied sie sich vor zwei Jahren, nach Berlin zu ziehen. Nun absolviert sie 18 Einheiten pro Woche – mehr als doppelt so viele wie zuvor. „Ich bin jetzt so fit, dass ich alles gut wegstecke, auch wenn die Beine manchmal ganz schön müde sind.“ Ganz normaler Alltags-Trott trotz Corona in der Olympia-Warteschleife? Nicht ganz. Trainer Witkowski geht in diesen Tagen auf Abstand zu seinen Athletinnen. In der Kita seiner Kinder gab es einen Corona-Fall. Zwar in einer anderen Kohorte, aber man weiß ja nie. Das Frühstücksbuffet ist gestrichen, jeder musste in der Kantine einmal angeben, was er morgens gerne isst. „Und jetzt gibt es seit Mai immer das Gleiche zum Frühstück“, erzählt Hämmerling. Pandemie-Umstände, mit denen sich die Ruderinnen längst arrangiert haben und die das Training, bei dem der „kontaktscheue“ Coach ohnehin mit dem Motorboot nebenher fährt, kaum beeinflussen. Eine einschneidende Veränderung brachten die vergangenen Wochen dem Doppelvierer dennoch: Hämmerling ist nicht mehr die Schlagfrau. Sie tauschte mit Zimmerkollegin Franziska Kampmann, sitzt nun auf dem Platz im Boot, den die Ruderinnen „auf drei“ nennen. Eine Degradierung? „Der Vierer läuft jetzt deutlich besser“, sagt sie. „Trotzdem ist es schade. Das war jetzt dreieinhalb Jahre mein Platz, ich habe mich da wohlgefühlt.“ Dennoch kann sie dem Wechsel auch Positives abgewinnen: „Als Schlagfrau wird man schnell verantwortlich gemacht, wenn etwas nicht läuft. Von daher ist der Wechsel auch eine kleine Entlastung.“ Ohnehin stehen die Ruderinnen in einer normalen Saison – mit der EM als internationalem Auftakt, drei Weltcup-Rennen und der WM als krönendem Abschluss – ständig auf dem Prüfstand. Läuft ein Rennen nicht, wird das Boot womöglich sofort umbesetzt. Die abgespeckte Corona-Saison bietet davon eine Pause. „Diesen Dauerstress der Selektion mal nicht zu haben, finde ich gar nicht so schade“, sagt Hämmerling. Dafür herrscht Vorfreude auf die EM, auch wenn die Konkurrenz für die deutschen Titelverteidigerinnen schwerer einzuschätzen ist als in den Vorjahren. Sonst der Startschuss für die internationale Saison, ist die EM in diesem Jahr die einzige Standortbestimmung. „Deshalb hat sie schon einen anderen Stellenwert“, sagt Hämmerling. „Ich traue uns zu, dass wir gewinnen können. Und wenn nicht mal eine Medaille drin ist, war es richtig schlecht, dann wird das Boot bestimmt umbesetzt.“ Denn weiterhin zählt vor allem Tokio. Viele Athletinnen richten ihre Lebensplanung nach den Spielen aus, treten nach der Olympia-Teilnahme zurück, um ins „echte“ Berufsleben einzusteigen. Frieda Hämmerling kann sich indes noch eine längere Ruder-Zukunft vorstellen. Voraussichtlich aber im Einer, der nicht an einen festen Stützpunkt gebunden ist. Dann könnte sie ihr Studium in Hamburg schneller beenden, sich mal länger bei Freund Max Hoff, der 2016 Olympiasieger im Vierer-Kajak wurde und inzwischen in Essen lebt und trainiert, aufhalten. „Aber das ist total offen. Dafür müsste ich auch erst mal die schnellste deutsche Frau bleiben“, sagt Hämmerling entspannt mit den Schultern zuckend. Sie scheint es sich durchaus zuzutrauen. „Vielleicht hängt es am Ende doch von Olympia ab, ob und wie ich weitermache“, sagt sie schließlich. Bis dahin geht es weiter im Profi-Rhythmus: Vom Spinning-Rad zur Physio-Behandlung, kurz aufs Zimmer, das sie sich mit Franziska Kampmann teilt, aber nur tagsüber nutzt. Zum Duschen, für kurze Pausen, einen Mittagsschlaf. Die Regale sind mit Sportwäsche gefüllt. „Wir haben eines für sauber, eines für ,geht noch’ und eines für ,komplett nass’“, erklärt Hämmerling lachend. Kurz vor der EM lässt Trainer Witkowski Gnade walten, der Nachmittag ist frei. Ab nach Hause also. Eigentlich wohnt die Studentin in einer Berliner WG. Was sie an diesem sonnigen Herbsttag noch vorhat? „Erst mal schlafen. Und auch sonst einfach entspannen.“ Energie tanken. Für die EM, das Wintertraining und für die nächsten Monate in der Olympia-Warteschleife. (scha)