Fünf Ringe baumeln um den Hals von Frieda Hämmerling. Silberfarben schlingen sie sich ineinander. Ein bisschen sperrig ist der Modeschmuck, hat sich schon mehrfach verhakt, ist auseinandergebogen. Aber diese Kette, ein Geschenk ihrer Mutter, ist für die Ruderin eine Herzensangelegenheit. Sie hat die Ringe löten lassen – nun halten sie. „Sind halt nicht mehr ganz so schön“, sagt Hämmerling und trägt sie mit einem breiten Lächeln.
Ein Lächeln, das auch im Hamburger Januar-Regen nur ganz selten erlischt. Nach den Olympischen Spielen im Sommer ist die Kielerin aus Berlin zurück in die Hansestadt gezogen, genießt die Nähe zur Familie in Kiel, das Zusammenleben mit Freund Max Hoff, der nach Silber im Zweier-Kajak in Tokio seine Karriere beendete. Und die Freiheit. Urlaube, Freunde Treffen… „Wir holen gerade ganz viel nach“, sagt die 24-Jährige, deren Leben seit dem Sprung in die A-Nationalmannschaft 2017 komplett auf den Sport ausgerichtet war. Stützpunkt-Training in Berlin, kaum trainingsfreie Tage, Fernbeziehung, ständiger Leistungsdruck. „Vor dem Finale in Tokio war mir klar, dass danach Schluss ist“, sagt Hämmerling über die Jahre der Maloche.
Das verlorene Silber von Tokio bewegt sie noch heute
Doch dann folgte das Erlebnis, das ihr noch immer die Tränen in die Augen treibt, wenn sie daran denkt: Sekunden vor dem Zieleinlauf, auf einem sicheren Silberrang liegend, bremste ein technischer Fehler das Boot abrupt aus. Der deutsche Ruder-Vierer schleppte sich auf Rang fünf ins Ziel. „Ich habe noch immer nicht realisiert, dass wir Olympia-Fünfte geworden sind“, sagt Hämmerling. Sie fühlt nur das verlorene Silber – und trifft einen Entschluss.
Zwar empfindet sie bei allem Drang, das Leben in Hamburg auszukosten und ihren Lehramts-Bachelor (Deutsch und Geschichte) abzuschließen auch weiterhin die große Anziehungskraft des Sports. Letztlich hat sich Hämmerling dennoch zu einem Pausenjahr entschlossen. „Als ich im Oktober wieder anfangen sollte zu trainieren, habe ich gemerkt: Ich bin noch nicht leistungsbereit.“
In Spitzensportlerinnen-Maßstäben heißt das: Nur sechsmal Training pro Woche, keine Wettkampf-Starts, nur die Leistungstests, die nötig sind, um den Kader-Status und damit Teile der finanziellen Förderung zu erhalten. Hämmerling muss selbst lachen, wenn sie versucht zu erklären, dass die morgendlichen Einheiten gemeinsam mit den Männern vom Hamburger Stützpunkt eine Pause sein sollen und sie manchmal sogar zweimal am Tag trainiert. „Wenn ich Zeit habe, gehe ich halt nicht shoppen, sondern lieber trainieren. Und ich will ja auch irgendwie fit bleiben“, sagt sie und zieht die Schultern hoch. „Aber der große Unterschied ist, dass ich nach 40 Minuten absteigen kann, wenn eigentlich eine 90-Minuten-Einheit auf dem Ruderergometer ansteht.“
Hämmerling, die von der Stiftung Kieler Sporthilfe gefördert wird, war schon immer ein echter Wettkampf-Charakter. Im Rennen liefert die Schlagfrau ab, im Training hat sie oft schlechtere Werte als ihre Bootskolleginnen. Und trotzdem besitzt sie eine eiserne Disziplin – und Paris 2024 ist in Sichtweite. Man kann sich vorstellen, dass ihr zwei Jahre Anlauf für einen Start dort reichen könnten. Die Gedankenspiele, es im Einer zu versuchen, hat sie dagegen abgehakt. „Im Team bin ich einfach motivierter.“
Zudem dürften im Doppelvierer die Chancen auf einen Platz im Olympia-Boot deutlich größer sein. 15 Ruder-Olympioniken legen derzeit eine Pause ein, wer danach wieder kommt, ist ungewiss. Auch bei Hämmerling. „Es sind jetzt einfach mehr Optionen als letztes Mal, als diese Entscheidung anstand“, sagt sie mit Blick auf ihre eigenen Möglichkeiten. „Und das ist natürlich ein großes Privileg.“
Was macht eine Vollblutsportlerin, wenn sie hin- und hergerissen ist? Sie setzt sich Ziele. Bis Oktober will sie ihren Bachelor-Abschluss in der Tasche oder in greifbarer Nähe haben. „Ich habe gemerkt, Rudern ist nicht alles“, sagt sie. Aber für Frieda Hämmerling eben doch viel. Irgendwann im Spätsommer muss sie entscheiden, ob sie sich noch einmal in den Olympia-Tunnel stürzt. Dafür müsste sie zurück nach Berlin ziehen. Und die Werte im 2000-Meter-Test auf dem Ergometer müssten Zuversicht geben, dass eine Medaille bei den Spielen in Paris realistisch wäre.
Schon jetzt läuft beim Trainieren oft auch die Pulsuhr mit, die den Bundestrainern Fitness-Daten übermittelt. Sie ist ihr zweiter ständiger Begleiter – neben der silberfarbenen Kette mit den fünf Ringen. (KN/Merle Schaack)